Blutarmut ist im OP keine Seltenheit
18.11.2025Jeder Dritte, der sich einem größeren chirurgischen Eingriff unterzieht, leidet unter Blutarmut. Das zeigt eine neue Studie unter Beteiligung der Würzburger Universitätsmedizin.
Eine Anämie, umgangssprachlich auch Blutarmut genannt, schwächt den Körper bereits im Normalzustand. Durch die Verminderung der Hämoglobin-Konzentration im Blut werden die Zellen nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Hämoglobin ist ein sauerstofftragendes Protein, das sich in den roten Blutkörperchen (Erythrozyten) befindet. Ein Mangel an Hämoglobin führt zu Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und Herz-Kreislauf-Beschwerden.
Während einer Operation steht der Körper zusätzlich unter Stress, sodass das Risiko für Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Probleme und Infektionen steigt. Da die Organe und das Gewebe schlechter mit Sauerstoff versorgt werden, verzögert sich auch die Wundheilung. Schließlich benötigen anämische Patientinnen und Patienten häufiger Bluttransfusionen, was weitere Risiken birgt.
Die körpereigenen Blutreserven stärken
Oft wird Eisenmangel als Hauptgrund für diese Blutarmut angesehen. Deshalb beschränkt sich die präoperative Behandlung im Rahmen des „Patient Blood Managements“ bisher auf die Gabe von Eisenpräparaten. Das Auffüllen der Eisenspeicher fördert die Bildung neuer Blutzellen, verbessert die Sauerstoffversorgung und verringert den Transfusionsbedarf.
Tatsächlich kann eine Anämie jedoch viele verschiedene Ursachen haben. Um diese besser zu verstehen und die Behandlung gezielter zu gestalten, wurde in der internationalen, multizentrischen, prospektiven ALICE-Studie untersucht, wie häufig Anämie vor größeren Operationen auftritt und welche Gründe dafür verantwortlich sind.
„Unser Ziel ist es, die Patientensicherheit zu erhöhen und ein ganzheitliches Anämie-Management zu etablieren“, sagen die Professoren Patrick Meybohm, Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), und Kai Zacharowski, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main. Meybohm und Zacharowski sind die Letztautoren der Studie. Als Leiter des Deutschen Patient-Blood-Management-Netzwerks liegt ihnen besonders am Herzen, die körpereigenen Blutreserven zu stärken.
Die Auswertung der Daten von insgesamt 2.830 Patientinnen und Patienten aus 79 Krankenhäusern in 20 Ländern auf fünf Kontinenten wurde nun in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet Global Health veröffentlicht. Die in der Studie untersuchten Personen waren mindestens 18 Jahre alt, unterzogen sich einer größeren Operation und hatten einen mindestens 24-stündigen Krankenhausaufenthalt.
Auch ein Mangel an Folsäure oder Vitamin B12 kann zur Anämie führen
Erstautorin Dr. Suma Choorapoikayil von der Universitätsmedizin Frankfurt fasst die Ergebnisse zusammen: „Unter den Patientinnen und Patienten hat jeder Dritte eine Anämie. Mehr als die Hälfte von ihnen (55,2 Prozent) wies einen Eisenmangel auf, 7,7 Prozent einen Vitamin-B12-Mangel, 14,5 Prozent einen Folsäuremangel und 8,7 Prozent eine chronische Nierenerkrankung. Zudem zeigte sich in unseren Ergebnissen, dass eine präoperative Anämie das Risiko für Bluttransfusionen um das Dreifache, die Komplikationsrate um das Zweieinhalbfache und die Sterblichkeit um das Fünffache erhöht.“
Die Autoren sind sich einig, dass es entscheidend für die Zukunft ist, eine präoperative Anämie, die mit einer so hohen Häufigkeit auftritt und einen erheblichen Einfluss auf das operative Ergebnis hat, nicht mehr zu ignorieren. Zudem müsse neben dem Eisenmangel auch ein Vitamin-B12- und Folsäuremangel diagnostisch und therapeutisch berücksichtigt werden.
Publikation
The aetiology and prevalence of preoperative anaemia in patients undergoing major surgery (ALICE): an international, prospective, observational cohort study. Choorapoikayil, S., Baron, D.M., Spahn, D.R., Lasocki, S., Boryshchuk, D., Yeghiazaryan, L., Posch, M., Bisbe, E., Metnitz, P., Reichmayr, M., Zacharowski, K., Meybohm, P., the German Society of Anaestesiology and Intensive Care (GSAIC) Trials Group, SFAR research network, Supportive Anaesthesia Trainee-led Audit and Research Network (SATURN), and the ALICE study collaborators. The Lancet Global Health 2025, Volume 13, Issue 12, e2041 - e2050
