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Medizinische Fakultät

Geschichte

Die Geschichte der Medizinischen Fakultät

Die Würzburger Medizinische Fakultät zählt zusammen mit Heidelberg, Köln und Erfurt zu den vier ältesten medizinischen Fakultäten Deutschlands. So kann sie heute auf eine über 600-jährige Geschichte zurückblicken. Schon bei der Erstgründung der Würzburger Universität im Jahr 1402 war der Medizin als einer der drei höheren Fakultäten neben Theologie und Jurisprudenz ein fester Platz zugewiesen. Inwieweit es damals zu einem regulären medizinischen Lehrbetrieb kam, ist allerdings ungeklärt. Falls es ihn je gab, kam er spätestens mit dem baldigen Niedergang der Universität wieder zum Erliegen. Schon lange vorher stand Würzburg freilich im Ruf eines Zentrums der gelehrten Medizin. Bereits im ausgehenden 13. Jahrhundert machte sich der Abt des mehr als 300 Kilometer entfernten Klosters Aldersbach in Niederbayern auf den Weg, um eigens bei den gelehrten Würzburger Ärzten Rat zu suchen. Etwa zur gleichen Zeit, um 1280, entstand eines der einflussreichsten volkssprachlichen medizinischen Handbücher des Mittelalters, das „Arzneibuch“ des Ortolf von Baierland, dessen Autor ausdrücklich als „arzet in Wirzeburc“ firmierte. Es war eine Summa der gelehrten mittelalterlichen Medizin, zusammengeschrieben, wie es in einem späteren Druck hieß, „aus allen artztpüchern, die ich in lateinje vernam“. Aus der Mitte des 14. Jahrhunderts ist die hirntopographische Karte des Würzburger Kanonikers Berthold von Blumentrost überliefert, welche die Lokalisation der Verstandesfunktionen – Einbildungskraft (imaginatio), Urteilsvermögen (cogitatio, aestimatio) und Gedächtnis (memoria) – in den Hirnkammern veranschaulichte. Blumentrost bewegte sich damit auf der Höhe der zeitgenössischen Wissenschaft, welche die Verstandesfunktionen eng mit dem Wirken beweglicher Seelengeister in den Hirnventrikeln verband.

Im 16. Jahrhundert wirkten etliche berühmte gelehrte Ärzte in Würzburg, Burckhard von Horneck beispielsweise oder Johannes Posthius. Ein geregelter akademischer medizinischer Unterricht lässt sich aber erst wieder nach der Zweitgründung der Würzburger Universität im Jahr 1582 nachweisen. Die Medizin zählte erneut von Anfang an zu den drei höheren Fakultäten. 1587 wurden die Fakultätsstatuten beschlossen, 1593 waren schließlich die Professorenstellen besetzt und der Lehrbetrieb begann. Würzburg bot nun vorzügliche Voraussetzungen für eine gründliche medizinische Ausbildung. Es war gelungen, Adriaan van Roomen auf die erste, besonders angesehene Professur für Theorie zu holen. Van Roomen, der auch als Mathematiker internationalen Ruhm genoss, initiierte binnen weniger Jahre eine blühende Disputationskultur und führte eine ganze Reihe von Medizinstudenten zur Promotion. Auch für die praktische Ausbildung am Krankenbett bot Würzburg nunmehr dank des neu gegründeten Juliusspitals außergewöhnlich gute Voraussetzungen. Im Gegensatz zu anderen Spitälern der Zeit, die fast ausschließlich Alte und Pflegebedürftige versorgten, war das Juliusspital nämlich von Anfang an auch ein „hospitale in aegrorum curationem“,  also zur Behandlung von Kranken bestimmt. Damit bot das Spital für angehende Mediziner eine willkommene Gelegenheit, vielfältige Krankheiten und Krankheitsformen  zu sehen und die Wirkung unterschiedlicher Behandlungsverfahren zu verfolgen. Solches „bedside teaching“ erfreute sich damals unter den Medizinstudenten großer Beliebtheit und war ein Hauptgrund, warum so mancher Medizinstudent für einige Zeit an eine norditalienische Universität ging, wo man die Professoren bei ihren Visiten in die großen städtischen Krankenhäuser und in ihrer Privatpraxis begleiten konnte.

Im 17. Jahrhundert, nach dem Ausscheiden und Ableben van Roomens und unter dem Eindruck wiederkehrender Pestepidemien und des Dreißigjährigen Kriegs verlor die Medizinische Universität freilich drastisch an internationaler Ausstrahlung. Nur noch wenige Medizinstudenten fanden den Weg nach Würzburg, und es wurden kaum mehr Promotionen durchgeführt. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert bemühte sich die fürstbischöfliche Regierung zwar energisch um Reformen.Die Zahl der medizinischen Professuren wurde 1709 auf fünf erhöht; ursprünglich waren es nur zwei bis drei gewesen. Nachdem Vorbild führender protestantischer Universitäten wie Leiden und Halle wurde ein botanischer Garten eingerichtet – botanische Gärten galten damals als wichtig für eine gute Ausbildung, weil sich die Studenten dort die nötigen Kenntnisse über die verschiedenen Heilpflanzen erwerben konnten. Im Gartenpavillon des Juliusspitals wurde ein anatomisches Theater eingerichtet, und man holte als anatomischen Lehrer den bekannten Pariser Chirurgen Louis Sievert nach Würzburg. Der Anatomieprofessor wurde zudem angewiesen, im Winter wenigstens alle 4 Wochen in Gegenwart aller Medizinprofessoren eine Leiche zu sezieren. Auch das Disputations-und Dissertationswesen wurde nun wieder vorangetrieben. Doch die Bemühungen blieben zunächst weitgehend fruchtlos. Nach dem baldigen Weggang Sieverts fehlte es an renommierten Professoren mit überregionaler Ausstrahlung und die Lehre blieb altbacken. Noch 1739 musste man den Professoren ausdrücklich untersagen, den Studenten ihre Vorlesungen Wort für Wort in die Feder zu diktieren. 1758 sah sich Karl Philipp von Greiffenklau gar veranlasst, die Bitte um ein Gutachten mit der Frage einzuleiten: „Worin beruht der Ursprung des ungemeinen Verfalls der medizinischen Fakultät?“

Dass sich die Lage binnen Jahrzehnten grundlegend veränderte und die Würzburger Medizinische Fakultät im frühen 19. Jahrhundert schließlich zu einer der bedeutendsten in Deutschland wurde, verdankte sie vor allem dem Wirken von Carl Caspar Siebold und seinen Bemühungen um eine Verbesserung der praktischen Ausbildung. Seit 1766 wurde am Juliusspital wieder regelmäßiger klinischer Unterricht an Kranken aus je zwei „Kurstuben“ angeboten. Siebold trieb diese Anfänge energisch voran und sorgte insbesondere für eine moderne anatomische und chirurgische Ausbildung mit aktiver Einbeziehung der Studenten. Umfangreiche Um- und Neubauten im Juliusspital schufen Platz für rund 200 heilbare Kranke und verbesserten so die praktischen Ausbildungsmöglichkeiten nochmals ganz erheblich. Siebold war auch maßgeblich an der Umgestaltung des Theatrum anatomicum und, 1805, an der Einrichtung eines modernen Operationssaals im Juliusspital beteiligt. Siebolds Söhne folgten den väterlichen Fußstapfen und trugen ihrerseits zur Modernisierung von Klinik und medizinischer Ausbildung bei. Johann Barthel von Siebold wirkte als Anatom und Chirurg und las erstmals über pathologische Anatomie. Adam Elias von Siebold schloss an die väterlichen Anstrengungen für eine Verbesserung der geburtshilflichen Ausbildung für Medizinstudenten und Hebammen an und eröffnete 1805 im ehemaligen Epileptikerhaus die erste Würzburger Gebäranstalt.

Der rasche Aufstieg der Medizinischen Fakultät unter der Sieboldschen Ägide war ein entscheidender Grund, warum nicht die Würzburger, sondern die Bamberger Universität geschlossen wurde, als beide Städte 1803 an Bayern kamen. So blieb die Universität Würzburg erhalten und wurde durch die Übernahme führender Bamberger Professoren noch zusätzlich verstärkt. Mit Ignaz Döllinger gewann sie einen der führenden deutschen Anatomen, Physiologen und Embryologen der Zeit. Auch Wilhelm von Hoven, ein früherer Mitschüler Friedrich Schillers, kam aus Bamberg nach Würzburg. Er war später für Jahrzehnte die prägende Gestalt des Nürnberger Gesundheitswesens und war wahrscheinlich auch der spiritus rector hinter dem ersten Doppelblindversuch der Medizingeschichte, der 1835 in Nürnberg durchgeführt wurde, um die Wirksamkeit homöopathischer Mittel zu widerlegen. Die stärkste Ausstrahlung auf die deutsche Medizinstudentenschaft hatte freilich über einige Jahre der Philosoph Schelling mit seinem Versuch, die Medizin auf ganz neue, philosophische Grundlagen zu stellen. Auf dem Höhepunkt seines medizinischen Ruhms schrieben sich bis zu 270 Studenten jährlich in Würzburg ein. In kurzer Zeit machte sich allerdings Ernüchterung breit und die Hörerzahlen sanken rasch wieder ab.

In den folgenden Jahrzehnten wurde Würzburg stattdessen zunehmend zum Zentrum einer empirisch-beobachtenden und schließlich einer naturwissenschaftlich-experimentellen Medizin. Die Ausbildung wurde durch Ausbau der poliklinischen Aktivitäten noch praxisnäher. Diese ermöglichten es den Medizinstudenten, zahlreiche Kranke auch in ihrem häuslichen Umfeld zu besuchen und unter Aufsicht weitgehend selbständig zu behandeln. Mit Johann Lukas Schönlein wirkte der Begründer und führende Vertreter der sogenannten „naturhistorischen Schule“ in Würzburg. Sie wollte durch die möglichst präzise und unvoreingenommene Beschreibung von Krankheitszeichen und Symptomen zu einer neuen, empirischen Krankheitslehre gelangen und suchte zahlreiche Krankheitsentitäten voneinander abzugrenzen. Dank dieser Methode wurde Schönlein selbst zum Erstbeschreiber diverser Krankheiten. Die Schoenlein-Henochsche Purpura (Vasculitis allergica) etwa trägt heute noch seinen Namen. Nikolaus Anton Friedreich beschrieb die Parese des Nervus facialis. Johann Georg Pickel und Johann Joseph von Scherer legten die Grundlagen für eine moderne Pharmazie und Klinische Chemie. Im zweiten Drittel des Jahrhunderts war dann Franz von Rinecker die prägende Gestalt. Fachlich machte er sich vor allem in Kinderheilkunde, Psychiatrie und Dermatologie einen Namen, und ihm verdankt Würzburg eine der ältesten Universitäts-Kinderkliniken der Welt. Unter seiner Ägide wurden zudem Rudolf Virchow und Albert Kölliker berufen. Sie stellten die Anatomie und Pathologie auf moderne, laborwissenschaftliche Grundlagen und gaben der Medizin im Falle Virchows mit der Zellularpathologie insgesamt eine neue theoretische Basis. Hinzu kamen Arbeiten von Forschern an anderen Würzburger Fakultäten, die auch für die Entwicklung der Medizin und der Lebenswissenschaften von größter Bedeutung waren. Die Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen und die biologischen Forschungsarbeiten von Julius Sachs und Theodor Boveri sind hier vor allem zu nennen.

Das Juliusspital – trotz der Abteilungen für heilbare Kranke noch um 1800 vorwiegend ein Zufluchtsort für arme, ledige Kranke und Pflegebedürftige – und die verschiedenen Universitätskliniken wurden gegen 1900 zu den wichtigsten Einrichtungen zur medizinischen Versorgung der Würzburger Bevölkerung insgesamt. In den 1920er Jahren lockerte sich mit dem Bau des neuen Luitpold-Krankenhauses am Grombühl allerdings die jahrhundertealte, fruchtbare, wenn auch nicht immer konfliktfreie Verbindung zwischen der Würzburger Medizinischen Fakultät und dem Juliusspital.

Die Zeit des Nationalsozialismus hat auch an der Würzburger Medizinischen Fakultät tiefe Spuren hinterlassen. Das Institut für Vererbungswissenschaft und Rasseforschung führte im Sinne der nationalsozialistischen Rasseideologie unter anderem in der Rhön groß angelegte erbbiologische Untersuchungen durch. Der Psychiater Werner Heyde war leitender ärztlicher Gutachter in der „Aktion T4”, dem organisierten Massenmord an Zehntausenden von Geisteskranken und Behinderten zwischen 1939 und 1941. An der Würzburger Frauenklinik wurden unter Carl Gauß Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ aus dem Jahr 1933 durchgeführt. Das Anatomische Institut profitierte von den zahlreichen politisch motivierten Hinrichtungen und erhielt über Heyde auch rund 80 Leichen von Männern und Frauen, die offensichtlich – vermutlich in Gaskammern – mit Kohlenmonoxid ermordet worden waren. Auch die meisten anderen Kliniken und Institute waren mehr oder weniger stark in die nationalsozialistische Medizin verwickelt und nahezu alle Lehrstuhlinhaber verloren nach 1945 ihr Amt.

Bei dem großen Fliegerangriff im Frühjahr 1945 wurden große Teile der Universität und der Kliniken schwer beschädigt oder zerstört. Schon wenige Tage nach dem Angriff wurde jedoch bereits wieder operiert und nach wenigen Monaten waren zunächst die ambulante und bald auch die stationäre Krankenversorgung wieder gesichert. Mit dem Chirurgen Werner Wachsmuth, dem Internisten Ernst Wollheim und dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt Horst Wullstein zählte die Fakultät schon zehn Jahre nach Kriegsende wieder international führende Koryphäen zu ihren Mitgliedern. Wullstein machte sich nicht nur mit seinem Verfahren der Tympanoplastik und seinem auch kommerziell sehr erfolgreichen Operationsmikroskop einen Namen. Mit seiner Initiative zur Gründung einer Kopfklinik war er auch wegweisend für die weitere Entwicklung hin zu interdisziplinären Zentren, die heute zunehmend das Gesicht der Medizinischen Fakultät prägen und zu entscheidenden Motoren der biomedizinischen Forschung geworden sind. 1992 wurde auf dem Hubland das neue Biozentrum eröffnet, an dem Institute aus den Fakultäten für Medizin, Chemie und Pharmazie sowie Biologie vertreten sind. 2002 kam das Virchow Zentrum als DFG-Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin mit einer Reihe von Forschungsprofessuren und Nachwuchsgruppen hinzu, das auch wesentlichen Anteil an der Graduate School of Life Sciences hat. Würzburg beherbergt auch das Zentrum für Infektionsforschung und das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung. Seit 1971 waren Vertreter der Medizinischen Fakultät zudem immer wieder federführend bei erfolgreichen Anträgen für die Einrichtung von Sonderforschungsbereichen. In jüngster Zeit hat sich die Entwicklung hin zu interdisziplinären Forschungszentren und disziplinenübergreifender klinischer Arbeit mit dem Zentrum Operative Medizin (ZOM), dem Zentrum Experimentelle Molekulare Medizin (ZEMM) und dem Zentrum Innere Medizin (ZIM) nochmals verstärkt.



Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Stolberg
Institut für Geschichte der Medizin