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Medizinische Fakultät

Schwer kranke Ameisen schlagen Alarm und werden getötet

02.12.2025

Wenn Ameisenpuppen von Krankheitserregern infiziert sind, ändern sie ihren Körpergeruch. So warnen sie die Kolonie vor dem Ansteckungsrisiko – und besiegeln damit ihren Tod.

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Ameisen entfernen den Kokon einer tödlich infizierten Puppe. (Bild: Christopher D. Pull / ISTA)

Tiere, die in Gruppen leben und krank werden, versuchen oft, ihre Symptome zu verheimlichen, um nicht aus dem Sozialleben ausgeschlossen zu werden. Bei der Wegameise Lasius neglectus ist genau das Gegenteil der Fall: Todkranke Ameisenpuppen senden der Kolonie ein Alarmsignal, das eine unheilbare Infektion und damit ein Ansteckungsrisiko für die ganze Kolonie anzeigt.

Die Arbeiterinnen der Kolonie reagieren sofort. Erst packen sie die erkrankten Puppen aus deren Kokon aus, dann beißen sie kleine Öffnungen in die Haut der Kranken und tragen ein antimikrobielles Gift auf – die Ameisensäure, ihr selbst produziertes Desinfektionsmittel.

Diese Behandlung tötet die Krankheitserreger in der Puppe sofort ab. Doch auch die Puppe selbst übersteht den Desinfektionsprozess nicht.

Veröffentlicht in Nature Communications

Das haben Forschende vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) gemeinsam mit dem chemischen Ökologen Professor Thomas Schmitt vom Biozentrum der Universität Würzburg entdeckt. Ihre Studie ist im Journal Nature Communications veröffentlicht.

„Was zunächst wie Selbstaufopferung wirkt, bringt auch dem Tier, das das Signal sendet, indirekt einen Vorteil, da es seine Verwandten schützt. Durch das Warnsignal sichert eine an einer tödlichen Infektion erkrankte Ameise die Gesundheit der Gesamtkolonie und die Produktion neuer Tochterkolonien. Diese tragen auch die Gene der sich aufopfernden, kranken Ameisen in die nächste Generation weiter“, erklärt die Erstautorin der Studie, Erika Dawson, über ihr abgeschlossenes Postdoc-Projekt in der Social Immunity-Forschungsgruppe von Professorin Sylvia Cremer am ISTA.

Ameisen entwickeln sich in vier Stadien. Aus den Eiern schlüpfen beinlose, madenförmige Larven. Diese werden von Arbeiterinnen gefüttert, häuten sich mehrmals und verpuppen sich schließlich in einer Schutzhülle, dem Kokon. In dem weitgehend bewegungsunfähigen Puppenstadium wandeln sich die Larven zu erwachsenen Ameisen um.

Das Signal „find-me and eat-me“

Warum gibt es ein so kompliziertes Frühwarnsystem, wo sich kranke Tiere doch einfach aus der Kolonie zurückziehen könnten?

Erwachsene Ameisen, die kurz vor ihrem Tod stehen, verhalten sich tatsächlich so: „Sie verlassen das Nest und sterben außerhalb der Kolonie. Auch Arbeiterinnen, die sich mit Pilzsporen angesteckt haben, zeigen ‚social distancing‘“, erklärt Sylvia Cremer. Allerdings sei das nur Tieren möglich, die mobil sind. Erkrankte Ameisenbrut ist, genau wie infizierte Zellen in einem Gewebe, nicht sehr beweglich und hat diese Möglichkeit nicht.“

Kranke Ameisenpuppen sind also genau wie infizierte Körperzellen auf die Hilfe anderer angewiesen, um den Gesamtverband zu beschützen.

Interessanterweise lösen beide das Problem auf die gleiche Weise: Sie senden ein chemisches Signal aus, das entweder die Immunzellen des Körpers oder die Arbeiterinnen der Kolonie anlockt, um sie als zukünftige Ansteckungsquelle zu erkennen und zu entfernen. In der Immunologie ist in solchen Fällen von einem find-me and eat-me-Signal die Rede.

„Wichtig ist, dass ein solches Signal sowohl sensitiv wie auch spezifisch ist“, so Sylvia Cremer. „Das bedeutet, dass alle unheilbar erkrankten Ameisenpuppen aufgespürt werden sollten, aber keine gesunden Puppen oder solche ausgepackt werden, die mit ihrem eigenen Immunsystem die Infektion überwinden können.“

Wie also sieht ein Signal aus, das so präzise ist?

Zwei Komponenten des Körpergeruchs intensivieren sich

Thomas Schmitt, dessen Forschungsschwerpunkt auf der geruchlichen Kommunikation bei sozialen Insekten liegt, erklärt es. „Arbeiterinnen behandeln einzelne Puppen ganz gezielt. Der Geruch liegt also nicht in der Nestkammer ‚in der Luft‘, sondern er ist ganz eng mit der erkrankten Puppe verknüpft. Somit war klar, dass es sich nicht um flüchtige, sondern um nicht-flüchtige Duftstoffe auf der Oberfläche der Puppe selbst handelt.“

Das Team fand heraus: Bei todkranken Puppen werden zwei Geruchskomponenten ihres natürlichen körpereigenen Duftprofils intensiviert.

Um zu beweisen, dass dieser veränderte Körpergeruch allein ausreicht, um das Hygieneverhalten der Arbeiterinnen auszulösen, gingen die Forschenden einen Schritt weiter: Sie wuschen das Geruchssignal von kranken Puppen ab, übertrugen es auf gesunde Brut und beobachteten die Reaktion der Arbeiterinnen.

Das Ergebnis war eindeutig. Der übertragene Signalgeruch allein reichte aus, um die destruktive Behandlung durch die Arbeiterinnen auszulösen.

Alarm nur in ernsten Fällen

Erika Dawson findet es besonders faszinierend, dass Ameisen nicht jede Infektion sofort signalisieren.

„Die Königinnen-Puppen konnten dank ihres starken Immunsystems die Infektion selbst eindämmen und sendeten kein Warnsignal an die Kolonie. Die Arbeiterinnen-Puppen dagegen wurden aufgrund ihres schwächeren Immunsystems von der Infektion überwältigt und signalisierten ihre unheilbare Krankheit dann an die Kolonie.“

Genau diese Feinabstimmung zwischen der individuellen und der Kolonie-Ebene mache das altruistische Krankheitssignal so effizient.


Publikation

Dawson et al. 2025. Altruistic disease signalling in ant colonies. Nature Communications, 2. Dezember 2025,
Open Access, DOI: 10.1038/s41467-025-66175-z

https://www.nature.com/articles/s41467-025-66175-z


Projektförderung

Die Studie wurde vom European Research Council (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizon 2020“ der Europäischen Union (Nr. 1270 771402; EPIDEMICSonCHIP) finanziert.

Von Pressestelle ISTA / Robert Emmerich

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