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Medizinische Fakultät

Ein Knorpel "made in Würzburg"

16.12.2025

Am 11. Dezember 2025 ist das erste am Uniklinikum Würzburg hergestellte Knorpel-Transplantat auf dem Weg zur Implantation gewesen. Dieser führte über mehrere Stationen der Qualitätskontrolle.

Die Würzburger Arbeitsgruppe schickte das Implantat auf die Reise (von links): Sarah Nietzer, Sebastian Häusner, Oliver Pullig, Eva-Maria Kaindl, Eva Baumann und Mona Rosengarth.
Die Würzburger Arbeitsgruppe schickte das Implantat auf die Reise (von links): Sarah Nietzer, Sebastian Häusner, Oliver Pullig, Eva-Maria Kaindl, Eva Baumann und Mona Rosengarth. (Bild: Kirstin Linkamp / UKW)

Auf einer Skala von ein bis zehn sei die Anspannung an diesem Donnerstag um 9 Uhr auf einer guten acht, meint Sebastian Häusner, Leiter der Qualitätskontrolle in der Arbeitsgruppe von Dr. Oliver Pullig am Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilkunde des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). Er brachte am 11. Dezember 2025 gemeinsam mit dem Würzburger Team einen gezüchteten Knorpel auf den Weg zur Implantation.

Die Forschenden züchteten den Knorpel aus der Nase eines Patienten zur Behandlung seiner Kniegelenk-Arthrose. Innerhalb von 24 Stunden soll das Knorpeltransplantat in einer teilnehmenden Klinik innerhalb Europas in einen Patienten implantiert werden. „Das erhöht den Druck“, so Häusner, „denn der Patient erwartet natürlich ein sicheres und wirkungsvolles Implantat.“

Der Knorpel ist im Rahmen der europäischen klinischen ENCANTO-Studie gezüchtet worden und innerhalb des Programms erster seiner Art. ENCANTO steht für „Engineered Cartilage from Nose for the Treatment of Osteoarthritis” (künstlich hergestellter Knorpel aus der Nase zur Behandlung von degenerativem Gelenkverschleiß). Insgesamt sollen an elf klinischen Zentren in verschiedenen europäischen Ländern 150 Patientinnen und Patienten rekrutiert werden. Die Würzburger Arbeitsgruppe „GMP-konforme ATMP-Entwicklung“ stellt gemeinsam mit einem Team aus Basel die Implantate her. Dazu entnimmt es Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand der Patientinnen und Patienten, vermehren diese im Labor und züchten diese auf einer strukturgebenden Kollagenmatrix zu neuem Knorpelgewebe.

Dieses wird anschließend in das Kniegelenk eingesetzt, um den Knorpel zu regenerieren. Das Ziel besteht darin, die Schmerzen bei patellofemoraler Arthrose zu lindern, die Gelenkbeweglichkeit zu verbessern und eine gelenkerhaltende Therapie anstelle dauerhafter Gelenkprothesen zu ermöglichen.

Transplantat ist steril und frei von Kontaminationen

Gut vier Wochen lang wächst der Knorpel in den Reinräumen des GMP-Stammzelltransplantationszentrums unter der Leitung von Professor Matthias Eyrich. GMP steht für „Gute Herstellungspraxis” (englisch: Good Manufacturing Practice) und umfasst Regelwerke und Vorschriften zur Qualitätssicherung der Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten.

„Man kann die Knorpelaktivität schon ganz gut in der Petrischale beurteilen, wenn sich das Gewebe zu allen Seiten verzieht. Aber wir brauchen natürlich einen handfesten Beweis“, sagt Häusner. Das mikrobiologische Monitoring unter der Leitung von Dr. Heike Claus am Institut für Hygiene und Mikrobiologie fällt bereits positiv aus. Das Knorpeltransplantat ist steril und frei von Kontaminationen und kann somit sicher dem Patienten implantiert werden. Doch wie haben sich die Zellen entwickelt?

Es braucht lebendige Zellen

Um dies zu prüfen, holen Häusner und die technische Angestellte Eva Baumann neben dem Transplantat auch eine Gewebeprobe im Reinraumlabor ab und bringen diese zum nebenan liegenden Institut für Pathologie der Uni Würzburg unter Leitung von Professor Andreas Rosenwald. Dort wird die Probe, die den Namen „Paula” trägt, der alle Knorpeltransplantate der ENCANTO-Studie am UKW bezeichnet, in mehrere vier bis acht Mikrometer dünne Scheiben geschnitten. Eine dieser Scheiben erhält Dr. Dr. Elena Gerhard-Hartmann. Die Pathologin begutachtet die Viabilität. Wie lebendig sind die Zellen? Elena Gerhard-Hartmann gibt grünes Licht. Sebastian Häusners Anspannung sinkt auf der Skala um einen Punkt.

Die letzte Qualitätskontrolle

Doch noch kann das Transplantat nicht freigegeben werden. Weiter geht es mit dem Taxi von Grombühl zum Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und Zahnheilkunde an den Röntgenring. Hier werden die Gewebearchitektur und die Zellmorphologie bewertet. Dazu färbt Eva Baumann spezielle Proteine, die sogenannten Proteoglykane, im Knorpel an. Diese verleihen dem Knorpelgewebe Struktur, Elastizität und Stoßdämpfung. Je intensiver die Probe rot gefärbt ist, desto mehr dieser Proteine sind vorhanden und desto besser ist die Knorpelqualität. Auch die Zellmorphologie wird geprüft.

„Es bleibt spannend bis zur letzten Sekunde“, sagt Sebastian Häusner. Jetzt müssen er und Eva Baumann die Probe nämlich unabhängig voneinander begutachten. Nur ein hoher Modified Bern Score bedeutet, dass der Knorpel die strengen Qualitätsanforderungen von ENCANTO erfüllt. Dann die Erleichterung: Der Sponsor in Basel sowie der diensthabende Orthopäde im klinischen Zentrum des Patienten können benachrichtigt werden, dass das Transplantat auf den Weg gebracht wird. Der Patient weiß nicht, ob er in der Interventionsgruppe oder in der Vergleichsgruppe ist und eine Kollagenmatrix ohne Knorpelzellen aus der eigenen Nase erhält.

Knorpel-Ersatz „made in“ Würzburg

Die Anspannung bei Sebastian Häusner lässt nach. Und mit ihm atmet ein ganzes Team auf. „Der Erfolg des N-TEC beruht nicht nur auf der sehr guten internationalen Zusammenarbeit, sondern auch auf der exzellenten lokalen Zusammenarbeit vor Ort“, betont Oliver Pullig. „Von der Befundung des Gewebes durch die Pathologie, dem mikrobiologischen Monitoring durch die Hygiene bis hin zur Arbeit in den Reinräumen des GMP-Stammzelltransplantationszentrums – der hier hergestellte Knorpelersatz ist ein echtes Produkt ‚made in Würzburg‘.“ Gerade diese enge Vernetzung der klinischen und universitären Zentren bilde das Rückgrat des wissenschaftlichen und klinischen Fortschritts am UKW.

Von Pressestelle UKW

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