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Lehrstuhl für Orthopädie und Lehrstuhl für Regeneration Muskuloskelettaler Gewebe

Rickets Workshop 2012


Kalzium-Mangel-Rachitis ist ein zunehmendes Problem

Vom 16.-25. April des Jahres fand am Institut für Geographie und Geologie der Universität Würzburg unter Leitung von Frau Prof. Dr. Barbara Sponholz ein Workshop statt, der mit Unterstützung des BMBF  im Rahmen einer Anbahnungsmaßnahme dem Thema „Kalziummangel – Rachitis in Nigeria“ gewidmet war. Das internationale Teilnehmergremium umfasste Mediziner, Geographen und Ernährungsfachleute aus Nigeria, Niger, Großbritannien und Deutschland. Ziel des Workshops war eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme zum Thema „Kalziummangel – Rachitis in äquatornahen Ländern“ am Beispiel von Nigeria. Kalziummangel-Rachitis ist eine an Häufigkeit zunehmende Erkrankung, die besonders Kinder beeinträchtigt. Sie wird aus Ländern berichtet, in denen die Kombination aus bestimmten geographischen Gegebenheiten, wachsendem Bevölkerungsdruck und intensivierter Landwirtschaft sowie Änderungen von Klimabedingungen im Rahmen des globalen Klimawandels  zusammentrifft.

Das Teilnehmerfeld war sowohl international als auch ausgesprochen interdisziplinär. Kinderärzte, Endokrinologen, operative tätige Orthopäden, Geographen, Ernährungswissenschaftler und Tropenmediziner diskutierten gemeinsam in einem mehrere Tage währenden Programm über die Entwicklung in den betroffenen Ländern, mit besonderem Fokus auf Nigeria und Niger, über die Ursachen der Kalziummangel-Situation auf medizinischer und geographischer Seite und über mögliche Maßnahmen zur Versorgung der Betroffenen.


Der klinische Bedarf in Nigeria
Die Würzburger Arbeitsgruppe hat den intensivsten Kontakt mit der nahe Kaduna in Nigeria lokalisierten Organisation Hope for the Village Child. Dort wird unter anderem mit Unterstützung von Misereor ein Programm unterhalten, dass den ansässigen Kindern und ihren Angehörigen zugute kommt und in dessen Rahmen die Behandlung der Rachitis möglich ist. Schwester Rita Schwarzenberger, die Leiterin der Station, konnte leider beim Workshop nicht anwesend sein. Als ihr Vertreter sprach Michael Ogundele über die derzeitige Situation in der Region Kaduna. Nach seinen Aussagen hat man den Eindruck, dass die Inzidenz von Rachitis derzeit zunimmt. Sie beschränkt sich mittlerweile auch nicht mehr auf die Region südlich Kaduna, sondern es kommen zunehmend Anfragen aus benachbarten Regionen, so dass andere Gebiete offenbar auch vermehrt Probleme entwickeln.

In der Folge wurden die Ergebnisse der Arbeit von Dr. Christa Kitz, Pädiaterin, und ihrem Team vor Ort beschrieben. Dr. Wulf Emmert berichtete über die Ergebnisse der medikamentösen Therapie mit Kalzium, teilweise auch in Kombination mit Vitamin D. Es wurden beeindruckende Bilder gezeigt, die besonders bei Kindern unter ca. 8 Jahren demonstrierten, welch grundlegenden Erfolg man mit der einfachen Maßnahme der Kalzium-Supplementation erreichen kann. Die verbogenen Extremitäten der Betroffenen streckten sich zum Teil bis in die Gerade und ihr klinischer Zustand, ihre soziale Teilhabe und ihre persönliche Entwicklung kamen wieder in normale Bahnen.


Chirurgische Versorgung durch Ärzte und OP-Personal des Bezirks Unterfranken
Bei den Kindern, die schon lange mit solchen Störungen zu tun hatten und deren verbogene Extremitäten bereits zu Verhärtungen und Verwachsungen der umgebenen Weichteilgewebe geführt hatten, war eine chirurgische Therapie notwendig. Das Team um Prof. Dr. Peter Raab berichtete von den Erfolgen der operativen Interventionen. Mit Unterstützung des König-Ludwig-Hauses und des Bezirks Unterfranken, war ein ganzes Team wiederholt vor Ort, um die Kinder zu operieren und ihre Beine operativ zu begradigen. Die vielen anschaulichen Bilder von den wirklich individuell sehr bahnbrechenden Erfolgen der operativen Maßnahmen waren beeindruckend.


Geographische Voraussetzungen als Grundlage der Mangelsituation
In einer Sitzung über die Ernährung in Zusammenhang mit den geographischen und geologischen Gegebenheiten wurde diskutiert, wie es zu der Kalziummangel-Situation kommen konnte. Die bislang vorliegenden geographischen Analysen sprechen dafür, dass in bestimmten Gebieten durch den hohen Wash-out tropischer Regenfälle der Boden an Kalzium verarmt. Auch das Trinkwasser weist ausgesprochen niedrige Kalziumwerte auf. Dass die ganze Situation allerdings nicht alleine auf den Kalziummangel zurückzuführen sein könnte, sondern vielfältige weitere Effekte zu der Mangel-Situation beitragen, wurde ersichtlich aus den Referaten über Selen und Phytate. Selenmangel liegt offenbar in der Region von Kaduna vor. Die ersten Ergebnisse des Forschungs-Teams im Orthopädischen Zentrum für Muskuloskelettale Forschung um Prof. Dr. Franz Jakob zeigen, dass sowohl die selenabhängige Enzymaktivität im Organismus betroffener Kinder niedrig ist, als auch der mit Atomspektrometrie gemessene Selengehalt des Serums. Die von Frau Prof. Barbara Sponholz, Lena Hartmann und Marvin Gabriel aus der Geographie, sowie von  Dr. Thorsten Graupner von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR hierzu gefundenen Daten aus den Bodenproben sprechen die gleiche Sprache, die Selengehalte der bislang untersuchten Proben sind sehr niedrig.

Dr. Ulrich Schlemmer, Ernährungsfachmann  von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, hob in seinem Referat darauf ab, dass der Gehalt von Phytaten in der menschlichen Ernährung erheblich die Verfügbarkeit von Mineralien und Spurenelementen kontrolliert. Einseitige Ernährung kann somit durchaus ein weiterer Kontributor zur Kalziummangel Rachitis sein.


In einem Block über die geographischen Verhältnisse berichtete sowohl die in Deutschland arbeitende Lena Hartmann als auch die Kolleginnen und Kollegen aus Nigeria und Niger über die Situation in Afrika. Prof. Idris Jayieoba und Mercy Richard von der Ahmadu-Bello-University in Zaria/Nigeria berichteten über die Gegebenheiten in der Kaduna-Region, Kinderarzt Prof. Dr. Alido Soumana Alido und Dr.  Rakia Bachir Moctar, beide von der Université Abdou Moumouni in Niamey/Niger und klinisch tätig am Hôpital de Lamorde in Niamey, referierten über die Verhältnisse in Niger mit besonderem Fokus auf die Ernährung. Die geographischen und insbesondere Bodenverhältnisse in Niger wurden von Prof. Dr. Issa Ousseini und Ibrahim Sani, ebenfalls von der Université Abdou Moumouni de Niamey, dargestellt.

 
„Call to action“ – Das Problem ist drängend und möglicherweise von globaler Bedeutung

Nach drei Tagen intensiver Diskussion und Präsentation der bislang erarbeiteten wissenschaftlichen Daten, traf sich die Arbeitsgruppe abschließend zur Diskussion eines gemeinsamen Abschluss-Statements, das in groben Zügen bereits erarbeitet ist und in Kürze publiziert werden wird. Ziel ist es, eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erzeugen, sowohl bei den Gesundheitsbehörden der betroffenen Länder, als auch in der globalen „Scientific Community“. Berichte aus äquatornahen Ländern mit wachsender Bevölkerung und intensiver Landwirtschaft in Zusammenhang mit Auswirkungen des globalen Klimawandels häufen sich. Betroffen sind Bangladesch, Ghana, Gambia und Nigeria, um nur einige zu nennen.

Mit einem gemeinsamen Arbeitsessen wurde der wissenschaftliche Teil abgeschlossen. In den folgenden Tagen waren für die Teilnehmer Exkursionen in die Würzburger Umgebung und Informationsführungen zum Thema „Kultur und Geografie“ sowie Besuche in medizinischen und Pflege-Einrichtungen organisiert, z.B. in der Kinderklinik am Mönchberg und in den Mainfränkischen Werkstätten für Behinderte.


Die Pläne für die Zukunft beinhalten unter anderem die Akquisition weiterer Fördergelder, ohne die wissenschaftliche Arbeit nicht möglich sein wird. Sorgen bereitete allen Teilnehmern und vor allen Dingen auch den Organisatoren des BMBF Projekts, Prof. Barbara Sponholz, Dr. Christa Kitz, Prof. Peter Raab, Prof. August Stich und Prof. Franz Jakob die Tatsache, dass die Sicherheitslage in Niger und Nigeria momentan unsicher ist und dass nicht abzusehen ist, wann wieder eine gefahrlose Reise in beide Partnerländer möglich sein wird. Alle Teilnehmer gaben der Hoffnung Ausdruck, dass dies möglichst bald wieder der Fall sein sollte, um die wichtige Arbeit an diesem Projekt gemeinsam weiterzuführen.