Intern
  • Frontansicht des König-Ludwig-Hauses Heute und vor 100 Jahren
Lehrstuhl für Orthopädie und Lehrstuhl für Regeneration Muskuloskelettaler Gewebe

Osteoonkologie 2012

Am 23. und 24. März 2012 fand in Tübingen der 1. Kongress über das Thema Osteoonkologie statt.

Organisatoren waren die Professores Dr. Arnulf Stenzl und Dr. Tanja Fehm aus Tübingen. Alleine diese Konstellation eines Urologen mit einer Gynäkologin als OrganisatorInnen zeigt das Hauptanliegen dieses Kongresses, die Osteoonkologie ist ein interdisziplinäres Gebiet. Die Veranstaltung wurde unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für Osteoonkologie, die im Jahr 2010 gegründet worden war . Der Präsident dieser Gesellschaft Prof. Dr. Ingo Diel aus Mannheim betonte in seinem Grußwort die Bedeutung des Gebietes, das nicht nur Tumorassoziierte Probleme des Knochens einschließt, sondern auch die tumortherapiebedingten Probleme wie die Osteoporose nach antihormonellen Maßnahmen. Weitere unterstützende Organisationen waren die Deutsche Gesellschaft für Senologie und das Comprehensive Cancer Center in Tübingen. Auch das Grundlagennetzwerk SkelMetNet und die daraus entstandene DFG Forschergruppe über Mechanismen der Knochenmetastasierung unterstützte diese Veranstaltung sehr stark. Die Beteiligung der Grundlagenwissenschaftler stellt eine weitere Ebene der Vernetzung dar, die über interdisziplinäres klinisches Zusammenarbeiten hinaus geht und die eine Forschungsallianz mit schneller Translation von der Grundlagenforschung zur klinischen Forschung umsetzen möchte.

„Seed and Soil“
Gemäß der Beteiligung der Grundlagenwissenschaftler begann die Veranstaltung am Freitag, den 23. März, mit dem Hauptthema „From seed and soil – Interaktion zwischen Tumorzellen und Microenvironment des Knochens/Knochenmarks“ sowie in einer zweiten Sitzung mit dem Thema „Die Funktion von Tumorstammzellen und Stammzellnische“. In diesen Abschnitten wurde die von Sir Paget schon im 19. Jahrhundert aufgestellte These des „seed and soil“ noch einmal aufgegriffen. Die Tatsache dass der Knochen ein exzellentes Microenvironment für Tumorzellen zum Überleben bietet ist somit schon lange bekannt. Den klassischen osteolytischen Teufelskreis des Missbrauchs von Osteoklasten durch Tumorzellen hat der kürzlich verstorbene Mentor der Osteoonkologie Prof. GR Mundy in den letzten beiden Jahrzehnten gefestigt. Mittlerweile ist klargeworden, dass man diese Aspekte weiterhin als Grundlage der Osteoonkologie wird betrachten müssen, dass aber darüber hinaus die Interaktionen sehr viel komplexer sind und parallel zur immer effektiveren Tumortherapie neue Probleme aufkommen. Neben der Stimulation des Osteoklasten und dem konsekutiven Knochenabbau wird zusehends deutlich, dass es auch Mechanismen der Hemmung der osteoblastären Regeneration gibt, die dann zu einer deletären Situation bezüglich Knochenregeneration und Knochenerhalt führen. Besonders gut belegt ist diese Hemmung der Osteoblastogenese beim Multiplen Myelom, wo neben anderen Substanzen die Produktion von Dickkopf-1 (DKK-1) die Osteoblastogenese und damit die Knochenregeneration nahezu komplett unterbindet. Diese neue Ebene der Komplexität wird die kommenden Jahre prägen, es sind bereits DKK-1 Antikörper in der klinischen Prüfung um diese Situation zu therapieren. Die Interaktion zwischen Osteoblast und Multiple Myelom war auch weiterhin ein Thema. Es ist klar geworden, dass das Multiple Myelom in seiner Ausbreitung behindert wird, sobald ein aktiver und gesunder Osteoblast in der Nähe ist. Das bereits in der Klinik verfügbare Medikament Bortezomib ist ein gutes Beispiel dafür. Es erlaubt eine Aktivierung des Osteoblasten und vermittelt einen Knochenschutz, was zeitgleich zu einer Hemmung der Ausbreitung von Myelomzellen führt.
Die „seed and soil“ Theorie bietet noch weitere Ansätze zur Forschung und zu neuen Überlegungen. Haben wir uns bislang immer darum gekümmert, die Tumorzellen effektiv zu bekämpfen, so haben wir im Sinne eines schlechten Gärtners vernachlässigt, den Boden zu betrachten auf dem eine solche Metastasierung stattfindet. Das Microenvironment des Knochenmarks wird maßgeblich von Stromazellen beeinflusst und hat eine starke Komponente des Immunsystems. Selbstverständlich ist die Anwesenheit von Tumorzellen in diesem Knochenmarksegment auch nicht ohne Folgen für diese komplexe Zellinteraktion. Mehr noch, man darf annehmen, dass bestimmte individuelle Eigenschaften der Stromazellen, der Hämatopoese und des Immunsystems ein mehr oder weniger permissives Klima für Tumorzellen schaffen. Nach dem Kontakt von Tumorzellen mit den Zellen des Knochenmarks sind die beteiligten Zellpopulationen sicher nicht mehr die Selben wie vorher, die Zellen vermitteln sich in der Regel gegenseitig eine Signatur die sie möglicherweise auch später noch behalten, wenn eine erfolgreiche Elimination des Tumors aus dem Knochenmark gelungen ist. Es scheint Mechanismen zu geben, die dann nach wie vor permissiv sind für das Angehen von Tumorzellen.

Homing und Tumorstammzell - Nischen Komplexe Interaktionen im Knochenmark
Das „Homing“ von Tumorzellen ist unter anderem davon abhängig, wie gut die Überlebensbedingungen im Sinne von Wachstumsfaktoren, Angiogenese-Faktoren und anderen Überlebensfaktoren sind. Diese Bedingungen betreffen allerdings nur den proliferierenden Anteil an Krebszellen. Jüngste Forschungen gehen davon aus, dass es auch innerhalb von Krebszellpopulationen stammzellartige Zellen gibt, die mit einer niedrigeren bzw. ruhenden Proliferationsfrequenz in geschützten Nischen überleben und bei relativer Resistenz gegen Strahlentherapie und Chemotherapie auch entsprechend vor therapeutischen Maßnahmen geschützt sind. Solche Zellen sind potentiell in der Lage, Stammzellnischen zu besetzen und dort geschützt zu überleben. So können Sie beispielsweise die Hämatopoetische Stammzelle aus Ihrer Nische verdrängen und dadurch die Ursache grundlegen für die bekannte Tumoranämie. Dieses Thema der Interaktion mit Stammzellnischen war auch Inhalt des Festvortrages der eingeladenen Rednerin Fr. Prof. Laurie McCauley aus Ann Arbor in den USA. Sie beschäftigte sich mit den Veränderungen des „soil“ unter den verschiedenen Bedingungen Krebszellinvasion und Chemotherapie. Die faszinierenden und überraschenden Ergebnisse zeigten, dass z. B. eine üblicherweise in der Onkologie durchgeführte Induktionstherapie mit Cyclophosphamid zur Mobilisierung von Stammzellen führt  und damit bewirkt, dass gleichzeitig verabreichte Tumorzellen in vermehrtem Maße im Knochenmark heimisch werden. Es darf angenommen werden, dass einerseits dieser Mechanismus tatsächlich funktioniert, indem Stammzellen aus ihrer Nische freigesetzt werden. Auf der anderen Seite sind die Ergebnisse von Prof. McCauley alarmierend, da diese Vakanz in Stammzellnischen offensichtlich durch Tumorzellen genutzt wird.
Zusammenfassend ist klar geworden, dass die Grundlagenwissenschaft mit dem bekannten Teufelskreis der Osteolyse bei weitem nicht alle Phänomene der Tumor/Knocheninteraktion erfasst. Die Komplexität der möglichen Interaktionen die auch klinikrelevant sind nimmt zu. Sie tut es in dem Ausmaß, indem die Therapie des Primärtumors immer effektiver wird und somit das Überleben der Patienten verlängert wird. Zirkulierende Tumorzellen können also mit verlängerter Überlebenszeit von Patienten später zum Problem werden und demgemäß nimmt das Problem der Knochenmetastasierung deutlich zu. Man muss zudem annehmen, dass die dort residenten Zellen später Ausgangspunkt für Rückfälle werden können.

Zirkulierende Tumorzellen
Die zirkulierenden Tumorzellen waren dann auch ein geeigneter Übergang zur Klinik, denn die sogenannte minimal residual disease (MRD) hat eine große Bedeutung bei der Frage der Prognose in Risikosituationen von Krebserkrankungen. Hierzu hat die Arbeitsgruppe der Kongresspräsidentin Frau  Prof. Tanja Fehm sehr viel Vorarbeit geleistet für das Mammakarzinom, Herr Prof. Solomayer, ebenfalls früher Mitglied dieser Arbeitsgruppe, jetzt tätig in Bad Homburg, sprach zur Rolle dieser MRD beim Mammakarzinom, Herr Dr. Schilling aus Tübingen berichtete Analoges zum Prostatakarzinom.

Klinisches Management von Knochenmetastasen
Die Diskussionsfelder der Prävention von Metastasierung durch Antiresorptive Therapie waren ein Hauptaspekt des klinischen Managements. Die beiden führenden Substanzen in diesem Indikationsbereich, Zoledronsäure und der Rank-Ligand Antikörper Denosumab wurden in ihren klinischen Ergebnissen diskutiert. Mit diesen beiden Substanzen sind sehr potente Medikamente zur Verhinderung und Verlangsamung der Knochendestruktion durch Tumorzellen auf dem Markt. Dennoch bedeutet dieser Ansatz der Behandlung nicht zwangsläufig eine kurative Behandlung, so dass ein Großteil der Diskussionen darauf verwendet wurde, inwiefern diese Substanzen neben der Verhinderung des Knochenverlusts auch Tumorwirksamkeit im Sinne von eigener Antitumorwirkung haben könnten.
Das Programm näherte sich mit dem Samstag, den 24. März zusehends den praktischen Aspekten der Tumortherapie mit sehr aufschlussreichen Vorträgen über bildgebende Diagnostik und experimentelle Methoden der Bildgebung, die neu entwickelt werden. Auch die operativen und radiotherapeutischen Verfahren wurden ausführlich besprochen, wobei die letzteren sowohl die klassische perkutane Strahlentherapie als auch die nuklearmedizinischen Therapieoptionen beinhaltete.

Ausblick
Insgesamt zeigte der Kongress, dass die Knochenmetastasierung von Tumoren eine interdisziplinäre und zunehmende Bedeutung hat und dass die aufkommenden Probleme weiterhin eine hohe Forschungsaktivität erfordern. Mit diesem Kongress ist in Deutschland ein weiteres Zeichen gesetzt, dass die Forschung über Knochenmetastasen und die Interaktion von Tumor und Knochenmark weiter zunehmen wird. In den letzten 20 Jahren hat Deutschland hier einen Aufholbedarf entwickelt, in den USA und in den europäischen Nachbarländern war Forschung über dieses Gebiet schon länger sehr intensiv betrieben worden. Die Gruppe SkelMetNet hat sich in den letzten 5 Jahren konstituiert und darauf hingearbeitet, die Forschungsförderung aus öffentlichen Geldern weitervoran zu treiben. Unter Leitung von Herrn Prof. Lorenz Hofbauer aus Dresden und Prof. Franz Jakob aus Würzburg ist es mittlerweile gelungen, eine überregionale Forschergruppe in Förderung zu bekommen, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt (http://www.skelmet.de/). Diese beschäftigt sich mit den Grundlagen der Interaktion von Tumorzellen und Zellen des Knochenmarks. Die Situation gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich in Zukunft dieser Forschungszweig etablieren wird und dass zum Wohle der betroffenen Patienten weitere Fortschritte gemacht werden können.